Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Schweiz
08.10.2024

Ganz normal und doch einzigartig

Noah gilt als Frohnatur. Der 21-Jährige erlebte sein Coming-out auf seine einzigartige Weise.
Noah gilt als Frohnatur. Der 21-Jährige erlebte sein Coming-out auf seine einzigartige Weise. Bild: Ronny Bien
Er wollte nie einfach ‹normal› sein, fühlte sich stinklangweilig. Doch mit zwölf Jahren begann Noah herauszufinden, was ihn einzigartig macht.

Erst gerade hat Noah ein Informatikstudium an der ZHAW in Winterthur begonnen. «Dieses riesige Gebiet interessiert mich sehr und bietet mir eine Zukunftsperspektive», begründet er seinen wegweisenden Entscheid. Vertieft er sich ins Programmieren, befindet er sich wie in einer anderen Welt, recherchiert, tüftelt, installiert. «Kürzlich setzte ich den PC meines Bruders neu auf. Da konnte ich mich wieder mal richtig verausgaben.»

Vom Dorfleben in die urbane Welt

Aufgewachsen ist Noah mit seinem jüngeren Bruder und seinen Eltern in einer Gemeinde im Kanton Schaffhausen. Das Dorfleben sei schon eher konservativ, was er gerade im Schulunterricht oder alltäglichen Umfeld früh feststellen musste. «Aber es war auch schön, in ländlicher Umgebung aufzuwachsen. Es ist viel familiärer, man kennt sich, ist quasi untereinander.»

Nach Primar- und Sekundarschule besuchte Noah die FMS an der Kantonsschule Schaffhausen und schloss erfolgreich ab. Der Unterschied zum Dorfleben war gar nicht so frappant wie angenommen. «Das städtische, urbane Leben spürt man schon, doch auch in Schaffhausen selbst geniesst man das familiäre Flair.»

Jetzt, wo er in Winterthur studiert, sei die Anonymität schon grösser. «Aber auch dort findet man schnell seine Kreise», lacht Noah. Lose Auszugsgedanken kreisen auch schon im Kopf des Studenten umher. «Irgendwann, vielleicht in zwei, drei Jahren will ich diesen Schritt wagen. Winterthur ist eine Option, St. Gallen gefällt mir, mit etwas Wohnungsglück in den Raum Zürich oder doch Schaffhausen – diese Entscheidung ist noch offen», will sich Noah Zeit lassen.

«Ich wollte einzigartig sein»

Noah gilt eher als unscheinbar, hält sich gerne im Hintergrund auf, ist der stereotypische Brave. «Man muss nicht ständig auf einem Podest stehen», sagt er. Entdeckt man ihn und gewinnt dessen Vertrauen, wird man von einer aufgeweckten, interessierten und aufgeschlossenen Frohnatur empfangen. Eine herzensgute Seele, so wie es sich alle Schwiegermütter wünschen, wie es im traditionellen Klischeejargon heisst. An und für sich ein ganz normaler Junge von nebenan.

«Irgendwie wollte ich gar nie ‹normal› sein», beginnt er seine Coming-out-Story und erwähnt dabei, dass vieles anders gelaufen sei, als man es von anderen Geschichten her kenne. «Ich merkte früh, dass ich mich gerne mit anderen Menschen assoziiere, konnte dies jedoch nicht definieren. Erst durch ein Computerspiel kam ich ungefähr als Zwölfjähriger erstmals in Berührung mit dem Begriff ‹queer›.»

Eine neue Welt ging für Noah auf, denn dadurch lernte er eine ganze Vielfalt an Orientierungen kennen, wodurch er seine Identifikation schliesslich ebenfalls für sich zu entdecken begann. «Ich kam schon ins Grübeln, da ich zuvor keinen Vergleich hatte. Diese Erkenntnis fand ich so spannend, dass ich mich richtig darüber freute», strahlt Noah. «Ich hatte das Problem, dass ich eigentlich ein stinklangweiliger Mensch bin, der nichts hat, was ihn einzigartig macht.»

Dass Noah sich nun als queer identifizieren kann, erfülle ihn mit Stolz und Glück. «Ich wusste, ich bin nicht heterosexuell, für alles andere standen zuerst noch viele Fragezeichen.» Bemerkenswert ist, dass er nicht – wie viele andere – mit der eigenen Akzeptanz zu kämpfen hatte. «Das habe ich dem zu verdanken, dass ich einzigartig sein wollte», schmunzelt der 21-Jährige.

Informiert über Youtube

Dadurch, dass die neue Generation ihren Outlet durch das Internet findet, ist der innere Konflikt bei Manchen kleiner geworden, bei Noah war dieser gar nicht existent. «Ich gehöre noch zur Youtube-Generation», lacht er, «und habe mich dort informiert. Aber ich lese auch sehr gerne Geschichten und Biographien über andere Menschen. Das hat mich weitergebracht.»

Dennoch sei er als Informatik-Interessierter virtuell gar nicht so präsent. Dies sei aus einem «verwurstelten Sicherheitsaspekt», meint er. Noah gebe nicht gerne viel von sich preis und vor allem sei er nicht bereit, über sein Empfinden virtuelle Diskussionen zu führen. Hingegen für grössere Themen, wie etwa, mit welchem Label sich der Mensch identifiziert, diskutiere er gerne. Und, braucht der Mensch ein Label? «Nein», entgegnet Noah bestimmt. «Ich könnte mich innerhalb des ‹Queerseins› jedenfalls nicht definitiv labeln.»

Und daheim in der realen Welt? «Erst später erfuhr ich, dass mein Bruder und Vater es bei meinem Coming-out bereits ahnten. Für sie war es voll ok. Meine Mutter hingegen fand es weniger cool.»

Noah wurde mit Aussagen konfrontiert wie: ‹Das ist bestimmt eine Phase, das weisst du doch gar nicht›, ‹Du hast noch nie was anderes ausprobiert› oder ‹Du verbaust dir deine Zukunft›, was er wiederum nicht cool fand.

«Ich kann das für mich selbst einordnen und entscheiden, was für mich das Beste ist.» Die persönlichen queeren Themen werden darum tendenziell weniger am Familientisch besprochen. «Bei der Abstimmung zur ‹Ehe für alle› hat sich allerdings die ganze Familie damit befasst und wir stimmten einstimmig dafür, obwohl ich damals leider noch nicht wählen durfte», erinnert sich Noah an eine schöne Anekdote.

Regenbogenfarbene Laptopsticks

Es ist überhaupt nicht so, dass Noah es zuhause nicht gut hätte. Im Gegenteil: «Wir sind eine sehr moderne Familie und unterstützen uns gegenseitig. Es besteht durchaus eine schöne familiäre Harmonie.»

Harmonie erfährt Noah auch beim Singen. Er singt in einem klassischen Chor, spielt Klavier und tobt sich zwischendurch auch mal bei einer Partie Golf aus.

Im Dorf selbst hatte er nur mit einer gleichgesinnten Person Kontakt. Später begegneten sie sich an der Kantonsschule wieder, gingen sogar zusammen mit einer Clique in die Ferien. Dort erfuhr diese Person dann auch von Noahs queerem Label. Sein Umfeld wuchs, wie auch der Freundeskreis. «Ich schmunzle jedes Mal, wenn ich Studenten und Dozenten entdecke, die einen queeren Stick im Laptop stecken haben», ertappt er anhand der regenbogenfarbenen Umhüllung immer wieder Gleichgesinnte.

Irgendwann entdeckte er auch, dass Communities Stammtische anboten. «Durch das Militär erfuhr ich von den ‹QueerOfficers› und stellte fest, dass ich gar nie nach den gängigsten Dingen gesucht habe. So realisierte ich dann später auch, dass es in Schaffhausen Queerdom gibt.» Die Community sei gross genug, um darin einen Platz zu finden und das zu bekennen. «Ich fühle mich sehr wohl dabei.»

Neuer Lebensabschnitt

Seit kurzem ist Noah in festen Händen. Die erste Liebe? «Die zweite», entgegnet er, wieder mit funkelnden Augen. Die erste sei eine Fernbeziehung gewesen, die nach einem halben Jahr aufgrund der Distanz wieder aufgelöst wurde. «Ich war vorher ein glücklicher Mensch, nun bin ich ein sehr glücklicher Mensch.»

Gemeinsame Interessen, optimale Ergänzungen und das Wichtigste, wie Noah betont, das gegenseitige Vertrauen, das mache die Beziehung aus. Sein neuer Lebensabschnitt mit Studium in Winterthur und frischer Partnerschaft bedurfte sich zwar vielen Veränderungen, doch er geniesst diese Situation in vollen Zügen.

Coming-out Day (COD)

Nachdem am 11. Oktober 1987 rund eine halbe Million Menschen am «Second Nationals March of Washington for Lesbian and Gay Rights» teilnahmen, wurde 1988 am selbigen Datum der Coming-out Day ins Leben gerufen, um das Bewusstsein für die LGBTQ+-Gemeinschaft weiter zu stärken und die Sichtbarkeit zu fördern.

Seither findet dieser Tag jährlich statt. In der Schweiz wird der COD ebenfalls gefeiert, um das öffentliche Verständnis zu fördern und Menschen zu ermutigen, ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität offenzulegen. Diverse queere Organisationen nutzen den Tag für Aufklärung und Sensibilisierung.

Ronny Bien, Schaffhausen24