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22.08.2024
23.08.2024 12:59 Uhr

Lehrer wollte Waldner Schule revolutionieren – und ist abgeblitzt

Nils Landolt im Lernhaus Sole, welches er mit seiner Frau Hanna vor drei Jahren in einer Fabrikhalle eröffnet hat.
Nils Landolt im Lernhaus Sole, welches er mit seiner Frau Hanna vor drei Jahren in einer Fabrikhalle eröffnet hat. Bild: Screenshot SRF-Video
Nils Landolt möchte die Bildung grundlegend verändern: Kinder sollen selbstbestimmt und frei lernen, den Unterricht aktiv mitgestalten. Als Klassenlehrer in Wald ZH stiess er damit auf grossen Widerstand. Das Schweizer Fernsehen hat das Thema aufgegriffen.

Nils Landolt und seine Frau Hanna sind fest davon überzeugt, dass Kinder freier und selbstbestimmter lernen sollten, als es die Volksschule ermöglicht. In seiner Privatschule «Lernhaus Sole» lernen die Kinder frei und widmen sich ihren selbstgewählten Projekten.

Ohne Leistungsdruck und Noten

Vor drei Jahren haben die Landolts in Mollis ihre Schule in einer Fabrikhalle gegründet. Neben Nils ist seine Frau Hanna die treibende Kraft hinter dem Projekt. Die Landolts nehmen auch Familien auf, die sich das Schulgeld nur teilweise leisten können, wenn ein Kind in ihren offenen Unterricht passt. Ihr Ziel ist es, dass ihre eigenen vier Kinder und möglichst viele andere Kinder ohne Leistungsdruck, ohne Noten und auf spielerische Weise lernen können. 

Ist dieses Konzept mit den Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft vereinbar? Hanna Landolt gegenüber dem Schweizer Fernsehen: «Ich habe ein tiefes Vertrauen, dass unsere eigenen Kinder und auch die anderen ihren Weg finden werden. Kinder, die so lernen, haben tendenziell ein hohes Selbstwertgefühl, kennen sich sehr gut, kennen ihre Schwächen und Stärken und wissen genau, was sie gerne machen und können. Ich glaube, sie können sich in dieser Welt zurechtfinden und ihren Weg bahnen.»

«Meine eigene Schulzeit war extrem schwierig; ich war der Schüler, der oft vor der Tür stand.»
Nils Landolt
Nils Landolt möchte selbst wirksam sein. Bild: Lernhaus Sole

Spielerisch lernen

Der älteste Sohn der Landolts, Elia, ist 9 Jahre alt. Obwohl er erst in der 4. Klasse wäre, spielt er bereits ein strategisches Kartenspiel, das für 13-Jährige konzipiert ist. Dabei ist es besonders herausfordernd, dass die Karten auf Englisch sind und er mathematisch rechnen muss. Der Test, denn sie mit ihm in allen Fachbereichen der Volksschule machten, war über dem Durchschnitt. Natürlich gäbe es auch hier Kinder, die die Lernziele weniger gut erfüllen, so der vierfache Familienvater.

Klassenlehrer in Wald

Zurzeit besuchen 12 Kinder das Lernhaus Sole – das sind zu wenige, und die Finanzen sind knapp. Um seine Familie finanziell zu unterstützen, trat Landolt im Jahr 2023 eine Stelle an der Volksschule an; er übernahm die Rolle des Klassenlehrers für die 6. Klasse in der Schule Binzholz in Wald ZH. Auch in der öffentlichen Schule plante er, projektorientierten Unterricht umzusetzen. 

«Ich habe ein sehr starkes Bedürfnis, selbst wirksam zu sein. Meine eigene Schulzeit war extrem schwierig; ich war der Schüler, der oft vor der Tür stand. Ich habe sogar noch einen Pädagogen erlebt, der versuchte, mit Gewalt zu erziehen. Schule war für mich ein grosser Leidensweg – eigentlich bis in die Kanti», erzählt er Dani Heusser von SRF.

Innovatives Pionierprojekt

Im Laufe des Schuljahres wollte er auf Noten verzichten und die Fächer weitgehend auflösen. Für eine Volksschule definitiv ein innovatives Pionierprojekt. Die Verantwortung für Nils' Anstellung lag bei der Schulleitung, vertreten durch Petra Mächler. «Wir haben bereits Reaktionen von Eltern erhalten, als wir seine Anstellung bekanntgegeben haben. Es gab Rückmeldungen von Eltern, die sich Sorgen machen, ob die Kinder in dieser offenen Lernform weiterhin erfolgreich lernen können. Sie sind ja schon seit sieben Jahren an dieser Schule und an eine andere Lernform gewöhnt. Es ist für sie unklar, ob die Kinder den Übergang schaffen werden», erzählt Mächler dem Schweizer Fernsehen.

Trotz kritischer Stimmen hält Mächler es für wichtig, dass sich die Schule weiterentwickelt. «Ich glaube, die Schule hat noch viele Möglichkeiten und kann die Grenzen der Volksschule weiter ausloten», sagt sie.

Schon bald kritische Stimmen

Bereits nach den ersten Tagen, in denen Nils als Lehrer in Wald ZH arbeitete, wurden die kritischen Stimmen in der Gemeinde immer lauter. Die Kinder lernten beim neuen Lehrer z. B. Zusammenarbeit durch das Lösen von Escape Rooms im Freien, suchten nach kreativen Lösungen und entwarfen mit «Lego Serious Play» ihr zukünftiges Schulzimmer. All das berichteten die Waldner Schülerinnen und Schüler natürlich zu Hause.

Zwei Wochen später fand ein Elternabend statt. Vorausgegangen waren starke Reaktionen bei der Schulleitung, E-Mails und, leider, nur wenige Gespräche mit Nils, erzählt er dem SRF. «Ich habe damit gerechnet, auf Widerstand zu stossen, aber wie schnell und heftig sich dieser entwickelt hat, habe ich unterschätzt. Bis jetzt habe ich den Widerstand nur dezent erlebt.»

Zu grosser Druck

Weil der Druck zu gross wurde, stellte die Schule Landolt zuerst frei, dann wurde der Arbeitsvertrag in gegenseitigem Einvernehmen aufgelöst. Trotz allem würde Mächler Nils Landolt wieder einstellen: «Ich würde es wieder so machen, aber würde es ganz anders angehen. Ich würde mit ihm im Vorfeld alles genauer anschauen und dann klar sagen, was möglich ist und was nicht. Es wäre ein viel engerer Weg, den wir zusammen gehen würden.» Landolt selbst ist im Nachhinein der Meinung, dass er noch aktiver mit den Eltern hätte kommunizieren sollen.

Politischer Vorstoss im Kanton Glarus

Trotz allem macht Landolt weiter, denn er ist nach wie vor überzeugt, dass Kinder anders unterrichtet werden müssen als an der Volksschule. Auch hat er zusammen mit seinem Geschäftspartner Escape Rooms für Firmen und Schulen lanciert.

Laut Bundesamt für Statistik kostet ein Kind in der obligatorischen Schule pro Jahr rund 23'000 Franken. Der Visionär arbeitete an einem politischen Vorstoss im Kanton Glarus, um Schulen wie die seine gleich wie die Volksschule behandeln zu lassen. Der Antrag wurde mit 11 Stimmen als erheblich erklärt. Die erste Hürde sei damit genommen, so Landolt im TV-Beitrag. Die Glarner Landsgemeinde wird sich im laufenden Jahr mit Landolts Antrag beschäftigen. Landolt hofft auf die Bildungsgutschrift im Jahr 2025. Bildungsgutschriften sollen ermöglichen, dass die Kosten, die ein Kind in der Volksschule verursachen würde,  übernommen werden. Damit könnten Eltern sich auch für ein alternatives Bildungsangebot, wie zum Beispiel an einer privaten Schule, entscheiden und würden finanziell entlastet.

Quelle: SRF

Gabriela Gasser